Die Bedeutung des unspezifischen Immunsystems für die Nierentransplantation

Hintergrund

Nach gängiger Sichtweise sind T-Zellen sowohl notwendig als auch ausreichend, um eine akute Nierenabstoßung zu vermitteln. Diese Tatsache schlägt sich in der fokussierten T-Zell-gerichteten Immunsuppression nieder, welche von der Hemmung der Zytokinproduktion (Kalzineurinhemmer, Kostimulationsblocker) wie auch -sensitivität (mTOR Inhibitoren, anti-IL-2-Rezeptorantagonisten) bis hin zur kompletten T-Zelldepletion (Antilymphozytenglobuline) reicht. Eine Reihe von rezenten Studien stellen jedoch diese „lymphozytenzentrierte“ Sichtweise in Frage und heben die Bedeutung unspezifischer Abwehrzellen hervor. Im Folgenden soll deshalb die Bedeutung myeloider Zellen wie Monozyten/Makrophagen und dendritischer Zellen als essentielle Komponenten des unspezifischen Immunsystems („innate immunity“) für die Nierentransplantation erläutert werden. Monozyten sind nach neuen Daten offenbar in der Lage, Alloantigene unabhängig von T-Zellen zu erkennen und können weiters sogar selbst Effektorzellen darstellen. Damit wird deutlich, dass diese immunkompetenten Zellen des angeborenen Immunsystems wesentlich für den Erfolg einer Nierentransplantation sind. Die Implikationen für Diagnose und Therapie stellen für die weitere Zukunft der Organtransplantation wohl eine der wichtigsten Herausforderungen dar.

Ischämie-Reperfusionsschaden als Trigger der Alloimmunität

Eine der zentralen Fragen der Transplantationsforschung ist die der eigentlichen Initiierung des Abstoßungsprozesses. Neue Arbeiten konnten zeigen, dass der Ischämie-Reperfusionsschaden (IRS) am ehesten als das primäre Ereignis, welches die Aktivierung des Immunsystems auslöst, angesehen werden kann. So konnten Penfield et al. tierexperimentell nachweisen, dass sowohl in allogenen als auch in ischämischen autolog transplantierten Nieren kurz nach IRS ein diskreter Influx von MHCII-positiven myeloiden Zellen inklusive dendritischer Zellen stattfindet [Penfield G, Kidney Int 56:1759-1769,1999]. In einer ambitionierten kontrollierten Studie von Hoffmann et al. wurde immunhistochemisch als auch molekularbiologisch an humanen Nierentransplantbiopsien gezeigt, dass unmittelbar nach Reperfusion die ersten infiltrierenden Zellen Monozyten sind und Zeichen einer T-Zellpräsenz vollkommen fehlen [Hoffmann SC, Transplantation 74:916-922, 2002]. Im weiteren Verlauf verstärkt sich das allostimulatorische Repertoire dieser monozytären Zellen, wie die drastisch erhöhte Transkriptionsrate von kostimulatorischen Molekülen, Chemokinen als auch proinflammatorischen Zytokinen zeigt. Dagegen weisen Biopsien stabiler nierentransplantierter Patienten trotz weitgehend normaler Nierenretentionsparameter eher T-Zellen als dominierende Population des Infiltrats inklusive einer lymphozytenspezifischen transkriptionellen Aktivität auf. Diese Daten betonen die Bedeutung einer initialen unvermeidlichen IRS-getriggerten Monozytenaktivierung, welche erst im weiteren Verlauf in eine T-Zell-dominierte Immunreaktion übergeht. Experimentelle Daten zeigten zudem, dass die Folgen des IRS für die Akutabstoßung verantwortlich gemacht werden können, indem das Transplantat selbst für das Ausmaß der initialen Inflammation als essentieller Faktor verantwortlich ist [Chalasani G, J Immunol 172:7813-7820, 2004].

Zentrale Bedeutung myeloider Empfängerzellen für die allogene Abstoßung

Nach weitgehender Auflösung des IRS können Empfängermonozyten bei Abstoßungsfreiheit dennoch während des gesamten Transplantatlebens in variierender Zahl detektiert werden. Interessanterweise wurde bei sogenannten „subklinischen Abstoßungen“, welche durch eine diskrete bioptisch verifizierte Infiltration bei stabiler Transplantatfunktion definiert sind, eine monozytäre Prominenz beobachtet [Grimm PC, J Am Soc Nephrol 10:1582-1589, 1999]. Im Rahmen einer akuten Abstoßung kann die Monozytenakkumulation bis zu 40-60% des Infiltrates betragen, wobei es neben der Monozytenrekrutierung aus dem Blut auch zu einer signifikaten lokalen Monozytenproliferation kommt [Wyburn KR, Transplantation 80:1641-1647, 2005].

Eine molekulare Ursache für dieses Phänomen könnte u. a. die Produktion von M-CSF durch Tubulusepithel durch inflammatorische Vorgänge sein. Kinetikstudien zeigten, dass periphere Monozyten sich perivaskulär, tubuloin-terstitiell sowie glomerulär verteilen können. Nur eine geringe und auch schon ältere Zahl an Publikationen hat sich der Tatsache, dass Monozyten einen signifikanten Teil der abstoßenden, insbesondere der tubulointerstitiellen Zellpopulation ausmachen, verschrieben. Gerade die Banff-Klassifikation der Transplantathistopathologie definiert die Intimarteritis Grad II und III der akuten Abstoßung als Lymphozyteninfiltration. Matheson et al. hingegen konnten diesen Befund durch eine immunhistochemische Neuevaluation von klassischen Banff II- oder III- Abstoßungen zeigen, dass der dominierende Zelltyp hauptsächlich monozytären Ursprungs ist [Matheson PJ, Transplantation 79:1658-1662, 2005].

Weitere Arbeiten unterstützen diese Befunde und weisen darauf hin, dass die vorwiegende Zellpopulation in den meisten Fällen einer akuten Abstoßung von zumindest Grad Ib oder höher hauptsächlich durch Monozyten geprägt ist [Matheson PJ , Transplantation 79:1658-1662, 2005].

Neue Daten mit dem depletierenden CD52-Antikörper Campath-1H (alemtuzumab) wiesen noch einmal deutlich auf das Phänomen einer monozytär getriggerten Abstoßung hin. Trotz einer nahezu kompletten Lymphozytenabwesenheit für die Dauer von 3-6 Monaten durch die Campath-1H-Behandlung kam es zu akuten Abstoßungsreaktionen, die interessanterweise nahezu ausschließlich durch Monozyteninfiltrate charakterisiert waren und auf Cortisonstoß-therapie gut ansprachen [Kirk A, Transplantation 76:120-129, 2003]. Die extreme Depletion der T-Zellen macht in diesem Modell eine T-Zellassistenz im Rahmen der Monozyten-mediierten Zellschädigung (u. a. schwere Tubulitis) sehr unwahrscheinlich, weitere Studien sind jedoch noch notwendig, um zu beweisen, ob die Induktionstherapie mit Camptath-1H die „Monozytenabstoßung“ sichtbarer macht oder die Abstoßung erst durch die absolute Lymphopenie zustande kommt.

Trotz der Vielzahl der Hinweise, dass monozytäre Zellen schon sehr früh im transplantierten Organ zu beobachten sind, wurde erst kürzlich deutlich, dass Zellen des unspezifischen Abwehrsystems auch selbst Effektorfunktionen übernehmen können. In einem Rattenmodell wurde gezeigt, dass die selektive Monozytendepletion mittels Clodronat zu einer signifikanten Abschwächung der akuten Abstoßungsreaktion führte, obwohl quantitativ die Zahl infiltrierender Lymphozyten unvermindert war [Jose MD, Transplantation 7:1015-1022, 2003]. Weitere Effektormechanismen wie NO-Produkion, Zytokinsekretion, direkte Zytotoxizität und Induktion profibrogener Substanzen, die für die chronische Transplantatnehropathie bedeutsam sind, wurden als monozytäre Effektormechanismen nachgewiesen [Wyburn KR, Transplantation 76:1641-1647, 2005]. Zu den Erkennungs-strukturen myeloider Zellen, die durch die Transplantation und speziell durch den IRS, Immunzellen aktivieren, zählen die Toll-like-Rezeptoren (TLR), von welchen bislang elf bekannt sind und hauptsächlich der Erkennung bakterieller und viraler Strukturen dienen. Werden TLR aktiviert, so werden intrazelluläre Signalwege in Gang gesetzt, die zur Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen führen und dendritische Zellen reifen lässt, damit diese in die regionalen Lymphknoten wandern und dort eine T-Zellaktivierung vermitteln. In experimentellen Arbeiten, in welchen Mäuse benutzt wurden, denen bestimmte TLR-spezifische Signaltransduktionsmoleküle wie MyD88 fehlen, wurde ein deutlicher Zusammenhang mit diesem evolutionär konservierten und bislang für die antimikrobielle Abwehr gedachten System für allogene Abstoßungsreaktion evident. So konnte zumindest in nur minimal gemismatchten Hauttransplantaten gezeigt werden, dass allogene Transplantate mehr als 100 Tage überleben konnten, wenn sowohl Spender als auch Empfänger MyD88 fehlten [Goldstein D, J Clin Invest 111:1571-1579, 2003].

Damit einhergehend war eine Reduktion der Anzahl dendritischer Zellen in den regionalen Lymphknoten zu beobachten. In komplett MHC-gemismatchten Herztransplantationsmodellen war jedoch keine Verzögerung der Abstoßung, jedoch eine Änderung der Abstoßungsqualität zu beobachten. Diesen interessanten Beobachtungen liegt natürlich die Schlüsselfrage zugrunde, welche endogenen Liganden, wenn man nicht schon eine bakterielle Reizung während der Transplantation annimmt, für die entsprechende TLR-Involvierung sorgen. Bislang wurden mehrere solcher endogener TLR-Liganden gefunden, wovon u. a. Heat-shock-Proteine, die im Rahmen der Transplant- atabstoßung eine prominente Rolle spielen, und bislang noch unidentifizierte Aktivatoren von eminenter Bedeutung sein dürften.

Zuletzt wurden Empfängerpolymorphismen, die mit einer geänderten TLR-Aktivität einhergehen, mit einer reduzierten Inzidenz akuter Abstoßungen bei Lungen- und Nierentransplantierten gefunden [Palmer SM, Am J Resp Crit Care Med 168:628-635, 2003; Ducloux D, Kidney Int 67:2454-61, 2005]. Widersprüche über den Einfluss verschiedener TLR-Polymorphismen als auch des Einflusses von Spender- und Empfängerpolymorphismen [Palmer SM, Clin Transplant 20:30-36, 2006] machen deutlich, dass erst weitere kontrollierte Studien einen weiteren Aufschluss über den tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem TLR-System und humaner Alloimmunität geben können.

Zusammenfassung

Die letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass der Fokus auf T-Zellen hinsichtlich Pathogenese und auch Therapie der allogenen Abstoßung einer weiteren Sicht der komplexen Mechanismen des Immunsystems, welche eine Abstoßungsreaktion triggern und vermitteln, weichen muss. Insbesondere zelluläre Komponenten wie Monozyten/Makrophagen wie auch dendritische Zellen sind dabei in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, indem ihre Rolle von rein phagozytierenden und antigen-präsentierenden Zellen hin zu primären Effektorzellen erweitert wurde. Damit einhergehend wurde gezeigt, dass Monozyten in der Lage sind, allogene Strukturen zu erkennen und Lymphozyten-unabhängig durch den IRS aktiviert, eine akute Abstoßungsreaktion einzuleiten.

Darüber hinaus spricht eine Vielzahl von Daten für eine eminente Bedeutung dieser Zellpopulation für die chronische Abstoßungsreaktion. Ein genaueres Verständnis der möglichen pharmakologischen Beeinflussung dieser spezifisch agierenden Zellen des „unspezifischen Abwehrsystems“ verspricht einen signifikanten therapeutischen Fortschritt für die zukünftige Organtransplantation.

Prim Prof. Dr. Marcus D. Säemann
Prof. Dr. Dr. Walter H. Hörl
Dr. Thomas Weichhart
Klinische Abteilung für
Nephrologie und Dialyse
Klinik für Innere Medizin III
Medizinische Universität Wien