Bedeutung für chronische Entzündung und mögliche Biomarker
Chronische Niereninsuffizienz und speziell Hämodialysepflicht sind eng mit chronisch entzündlichen sowie pro-oxidativen Vorgängen assoziiert, welche wiederum entscheidend für das Gesamtüberleben niereninsuffizienter Patienten sind. Im Rahmen der Niereninsuffizienz kommt es zu einer typischen Dyslipidämie, welche v. a. durch eine Dysregulation der HDL-Synthese und Aktivität mit konsekutiv erniedrigten HDL-Plasmakonzentrationen charakterisiert sind. HDL besitzt ausgewiesene atheroprotektive Eigenschaften, welche durch den sog. reversen Cholesteroltransport (RCT), eine anti-oxidative sowie auch anti-inflammatorische Potenz erklärt werden. Es wurde beobachtet, dass HDL seine günstigen Eigenschaften bei der Urämie verliert, besonders durch mögliche verstärkte Oxidationsprozesse, die einzelnen molekularen Mechanismen, die für solche postulierten Vorgänge jedoch im Detail verantwortlich sein sollen, sind jedoch bislang nicht aufgedeckt worden.
Gerade in den letzten Jahren konnte mit Hilfe neuer Technologien erkannt werden, dass HDL als multifunktionelles Molekül bei verschiedenen Erkrankungen seine strukturellen Eigenschaften deutlich verändern kann; so zeigten Vaisar und Mitarbeiter mit Hilfe einer Proteomanalyse durch Massenspektrometrie, dass HDL bei Patienten mit stabiler koronarer Herzerkrankung (KHK) einen gänzlich anderen Proteinsatz als gesunde Probanden hatte, wobei ca. 50% der HDL-assoziierten Proteine mit akuter Phasereaktion sowie auch unspezifischer Immunität verknüpft waren (Vaisar T, J Clin Invest 117:746-756, 2007).
Ausgehend von der Hypothese, dass urämisches HDL seiner anti-entzündlichen Potenz verlustig gehen kann, haben wir hochgereinigtes HDL von Hämodialyepatienten mit Monozyten und dendritischen Zellen inkubiert, welche zuvor mit verschiedensten Stimuli aktiviert worden waren und sowohl auf Oberflächenexpression von Aktivierungsmolekülen (Adhäsionsmoleküle, kostimulatorische Rezeptoren) sowie Produktion proinflammatorischer Zytokine getestet wurden.
Dabei zeigte sich eindrücklich, dass urämisches HDL nicht nur seine anti-inflammatorische Potenz verloren hatte, sondern dass ein substantieller Teil der Patienten sogar ein HDL besaß, welches sogar proinflammatorisch wirkte (Weichhart T, J Am Soc Nephrol in press, 2012).
Zur genaueren molekularen Analyse dieser Vorgänge haben auch wir eine Proteomanalyse verwendet, welche zeigte, dass viele Proteine im urämischen HDL deutlich angereichert vorlagen, wie Serum-Amyloid-A (SAA), ApoC-II, AMBP, Transferrin, PEDF und vor allem Surfactant-Protein B (SPB). Darüber hinaus konnten wir SP-B, SAA und PEDF entweder de novo oder deutlich erhöht auch im HDL von Patienten im CKD-Stadium 3 und 4 detektieren, was diese Proteine als ideale Biomarkerkandidaten erscheinen lässt (Weichhart T, J Am Soc Nephrol in press, 2012).
Mehr noch erscheinen diese Proteine als Niereninsuffizienz-typisch, da z. B. die Proteinsignatur von KHK- Patienten weitestgehend unterschiedlich aussieht und damit die Idee eines „krankheits-spezifischen Proteoms“ unterstützt.
Funktionell konnte der Nachweis erbracht werden, das SAA eine entscheidende Rolle beim Verlust der anti-inflammatorischen Potenz von urämischem HDL zugute kommt: Durch Einbau von SAA, nicht aber eines der anderen verstärkt im HDL vorliegenden Proteine, wurde eine starke proinflammatorische Reaktion ausgelöst, die Mengen an SAA im urämischen HDL korrelierten denn auch mit dem Verlust der Zytokin-hemmenden Fähigkeit von urämischem HDL. Tatsächlich weiß man bislang von deutlich erhöhten SAA-Spiegeln bei Hämodialysepatienten, SAA wirkt ja als Apolipoprotein und ist nahezu zur Gänze in HDL eingebaut: Vielleicht erhellen die gegenwärtigen Befunde die Rolle von HDL im Rahmen der Urämie und des Gesamtkomplexes der chronischen Entzündung bei Nierensuffizienz.
Zudem konnte in einer Arbeit dieses Jahres auch gezeigt werden, dass SAA selektiv und im hohen Maße zwar nicht im HDL von Patienten mit stabiler KHK eingebaut wird, jedoch bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom deutlich vermehrt vorkommt (Alwaili K, Biochim Biophys Acta 2011 [Epub ahead of print]).
Überraschenderweise konnten die vorgeschlagenen Prozesse verstärkter Oxidation durch die Urämie bei urämischem HDL selbst mit Hilfe sensitivster Methoden überhaupt nicht beobachtet werden, weiters war die Suszeptibilität gegenüber Oxidation bei urämischem HDL nicht erhöht, womit ein zwar einleuchtendes, aber vielleicht zu simples Konzept nicht bestätigt werden konnte, vielmehr müssen andere molekulare Veränderungen entscheidend sein, um die beobachteten funktionellen und strukturellen Alterationen im HDL während der chronischen Niereninsuffizienz erklären zu können.
Eine Reihe rezenter und größerer Studien, welche bemüht waren, die HDL-Konzentration im Serum von kardiovaskulären Hochrisikopatienten zu erhöhen, waren zumindest frustran (ILLUMINATE Trial, AIM-HIGH study), was unserer Meinung nach besonders auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass HDL ein hochkomplexes und mehrere Funktionen ausübendes Molekül ist, welches in seiner Qualität verstanden werden muss, ehe man daran denkt, einfach nur seine Konzentration zu erhöhen.
Unsere Daten erlauben nun einige Rückschlüsse: HDL muss offenbar physiologisch ein potenter Negativregulator systemischer entzündlicher Prozesse sein, sein Verschwinden im Rahmen einer Sepsis unterstützt diese Sichtweise, umgekehrt könnte der Verlust seiner anti-inflammatorischen Fähigkeiten zu chronisch inflammatorischen Zustandsbildern, wie sie eben bei der ausgeprägten Niereninsuffizienz existieren, beitragen oder diese verursachen.
Das einheitliche Auftauchen distinkter Proteine im HDL schon in früheren Stadien der Niereninsuffizienz könnte auch prognostisch bedeutsam sein. So ist die starke Anreicherung von Surfactant-B insofern interessant, als dieses Protein selektiv in der Lunge produziert wird und bei Zuständen der Überwässerung, etwa bei Patienten mit Kardiomyopathie im NYHA-Stadium III und IV, systemisch deutlich erhöht ist. Deshalb könnten weitere Studien wichtige Informationen liefern, ob gerade solche Proteine sinnvolle Biomarker für niereninsuffiziente Patienten mit einer z. B. schlechteren Prognose und der Möglichkeit früher und adäquater Interventionen darstellen.
Letztlich sollten künftige Studien, welche eine Modifikation der Dyslipidämie oder überhaupt eine Verbesserung der Gesamtprognose niereninsuffizienter Patienten zum Ziel haben, neben der Quantität v. a. die Qualität von HDL beachten.
Prim. Prof. Dr. Marcus Säemann
Dr. Thomas Weichhart
Medizinische Univ.-Klinik III
Klinische Abteilung für Nephrologie und Dialyse
Medizinische Universität Wien